Interviews

mit Patienten/Klienten

Einleitender Text

Wir stellen Ihnen an dieser Stelle ausgewählte Interviews zur Verfügung, welche 2008 anlässlich des Kongresses „Atemerleben“ in Pullach im Isartal entstanden sind.

Kollegen und Kolleginnen verschiedener Atemtherapierichtungen waren gebeten worden, mit Menschen Gespräche darüber zu führen, wie sie die Atemtherapie erleben. Entstanden sind Gespräche, in denen Klienten und Klientinnen auf sehr persönliche Weise Einblicke gewähren, welche Erwartungen sie mit der Atemtherapie/Atempädagogik verbinden und welche Erfahrungen sie gemacht haben.

Sie wurden in der Broschüre „atemerleben“ abgedruckt, die mittlerweile vergriffen ist. Die hier veröffentlichten Interviews werden mit freundlicher Genehmigung der Interviewerinnen und des Berufsverbandes zur Verfügung gestellt. Die Interviewten sind zum Schutz ihrer Privatsphäre anonymisiert.  

Wir wünschen Ihnen eine inspirierende Lektüre.

Interviews aus:

„atemerleben“. Gespräche mit Menschen: Wie erleben Sie Atemtherapie. Auswertung und Darstellung von über 40 Interviews. / Erstellt von Christine Meyne. Herausgegeben vom Berufsverband für Atemtherapie und Atempädagogik (AFA / BVA). 2008.  (vergriffen)

Link zu weiteren Interviews:

Atembehandlung
empfinde ich wie einen schönen Kurzurlaub

| Dieses Interview wurde von Magdalena Unger geführt. Sie ist 2017 verstorben.

Mein Name ist K. R. Ich bin 45 Jahre und arbeite als Wirtschaftsinformatiker.

In einer großen beruflichen Herausforderung für eine Großprojektleitung wurde mir von einem Arbeitskollegen die Atemtherapie als Entspannungsmöglichkeit empfohlen. Mein Wunsch war, loslassen zu lernen, damit ich mich auf das Wesentliche konzentrieren kann.

Inzwischen bin ich mit Unterbrechungen seit acht Jahren in Atemtherapie. Anfangs kam ich ausschließlich zur Einzelarbeit. Ich habe vor allem in der individuellen Atembehandlung die Atemtherapie erfahren. Übungen zu Atem und Stimme sowie Coachinggespräche unterstützen meinen inneren Lösungsprozess.

Vor einigen Jahren nahm ich erstmals auch an einer Gruppenarbeit teil. Es war für mich eine sehr positive Erfahrung, die Motivation im Umgang mit dem Atem von den anderen Teilnehmern zu erfahren und Vergleiche zu meinen eigenen Belangen zu ziehen. Man fühlt sich somit nicht mehr alleine mit seinen eigenen Fragestellungen. Das positive Element der Gruppenarbeit ist das Herausgehen aus der Anonymität und das Heraustreten aus seinem eigenen Kreis. Ich empfand es als ein Gefühl der Befreiung und dies hat mein Motto ‚loslassen lernen’ stark gefördert.

Sooft ich im Alltag dafür Zeit finde, praktiziere ich Atemübungen. Mein Bewusstsein, mir Zeit zur Entspannung zu gönnen, wächst zunehmend.

Im Kindesalter hatte ich häufig Atemnot, bedingt durch einen Luftröhrenschnitt. Dazu musste ich vom 1. bis zum 12. Lebensjahr oft in ein Krankenhaus im Ausland. Diese Erfahrungen haben mich in meinem Atemmuster tief geprägt. Loslassen fällt mir schwer.     

Welche Erwartungen an die Atemtherapie haben Sie?

Durch die Atemtherapie möchte ich meine Mitte finden. Ich möchte lernen, den Atem zuzulassen und in mir zu ruhen.

Was hat die Atemtherapie bei Ihnen bewirkt?

Durch Loslassen der Luftröhre bzw. des Kehlkopfes erfahre ich, dass meine Stimme sich verändert. Nach einerAtemtherapiestunde kann ich spüren, was loslassen heißt. Dann fließt mein Atem und meine Stimme isț kräftig und tief. Ich bin sicher, der Körper wird es sich irgendwann auch dauerhaft als bestes Muster merken.

Meine wichtigste Erfahrung ist: Ohne Atem geht nichts. Mit dem Atem kann es aber auch schwierig sein. Nur wenn der Atem kommt, geht und eine Pause macht, dann passt alles. Jede Verkrampfung des Atems spiegelt bei mir eine Emotion wider. So sagt mir der Atem alles über meine eigene Verfassung bzw. Befindlichkeit.

Die Gruppen- und Einzelstunden finanziere ich aus der eigenen Tasche. Anstatt mein Geld für vergänglichen Konsum zu verwenden ist mir eine Investition in meine Gesundheit und mein Wohlbefinden wichtiger. Ich empfinde die Atembehandlung auch als einen schönen Kurzurlaub. Warum soll ich mir das nicht gönnen?

_________________________________________________________

Begleitung nach Lungenkarzinom

| Dieses Interview wurde von Ruth Luise Ostendorff geführt.  

Fr. D. ist 59 Jahre, verheiratet, hat eine erwachsene Tochter und ein Enkelkind. Von Beruf ist sie angestellt als Fachassistentin für Arbeitsförderung.

Fr. D. hatte ein Lungenkarzinom von dem sie seit Sept. 05 nach Chemotherapie geheilt ist. Danach OP und Bestrahlungstherapie. Zurück blieb ihr Kurzatmigkeit und Neigung zu Verspannungen und Festhaltungen.

Wie kamen Sie zur Atemtherapie?

Durch meine lebensbedrohliche Erkrankung hatte ich viel Zeit zum Nachdenken und habe mein Leben und meine Einstellungen total verändert. Auf der Suche nach einer begleitenden Therapie zu meiner Stärkung wusste ich, dass ich keine Gesprächstherapie führen wollte, Yoga ist mir nicht bekommen, weil es für mich zu anstrengend war, so kam ich durch eine Freundin zur Atemarbeit. Sie hatte dieses neue Angebot gerade für sich selber aus anderen Gründen entdeckt.

Ich habe vor ungefähr zwei Jahren begonnen, einmal pro Woche in eine Gruppenstunde zu gehen. Dabei habe ich im letzten Sommer eine Kurspause eingelegt, weil die zeitliche Belastung mich etwas angestrengt hat.

Nach einer Pause habe ich gemerkt, dass ich die Übungen alleine nicht in der Qualität ausführen kann, dass sie wirklich hilfreich sind. Ich habe vermehrt wieder Verspannungen gehabt, auch Schmerzen im Kiefergelenk kamen zurück, weil ich dazu neige, die Zähne zusammen zu beißen. Einige Stunden in der Gruppe haben diese Problematik sofort wieder aufgelöst. Nach einer Anleitung in der Atemstunde kann ich aufmerksamer alleine üben bis zur nächsten Woche.

Was hat die Atemtherapie bei Ihnen bewirkt?

  • Ich habe festgestellt, dass ich nicht zu depressiven Verstimmungen neige, wenn ich mich auf meinen Atem einlasse.
  • Ich fühle mich im Alltag besser und bin viel lockerer.
  • Vor allem sollen sich meine körperlichen Verkrampfungen und Verspannungen lösen, denn dann geht es mir psychisch und seelisch ebenfalls besser.
  • Die Atemarbeit hat mir geholfen, mehr Atemvolumen zu haben. Ich merke das vor allem beim Treppen steigen und auch bei längeren Spaziergängen.
  • Wichtig war für mich das Lösen der Spannungen, vor allem im Kieferbereich, ich knirsche nicht mehr mit den Zähnen. Das merke ich daran, weil ich morgens keine Kieferschmerzen mehr habe.
  • Und mein Schlaf ist tiefer und ruhiger geworden.
  • Die Atembewusstheit bringt mir persönlich eine tiefe Lebensbewusstheit.
  • Ich spüre nach der Atemstunde am Montagmorgen deutlich die positive Auswirkung auf die ganze Woche, zum Beispiel bezogen auf diverse Schmerzzustände.
  • Die gemachten Erfahrungen in der Atemarbeit sind für mich ganz wichtig. Ich spüre immer mehr meine Möglichkeiten der Selbstheilungskräfte, Arztbesuche werden immer unwichtiger und sind deutlich weniger geworden.
  • Durch meine Erkrankung habe ich festgestellt, dass Atem Leben ist und der Atem lebendig sein muss. Es ist das absolut Wichtigste in jedem Leben. Ich bin total offen geworden für meinen Atem, es ist mir wichtiger geworden als ein Gespräch und alles andere.

Wenden Sie die Atemtherapie in Verbindung mit anderen Formen/Wegen der Persönlichkeitsentwicklung an?

Ich wende keine anderen Therapieformen an- wichtig war für mich meine insgesamt neue Lebenseinstellung, die neue Bewusstheit für mein Leben, meine Ernährungsumstellung und die Aufgabe des Rauchens haben zu meiner neuen Lebensqualität geführt.

__________________________________________________

Ich habe mein Asthma jetzt im Griff und nehme keine Medikamente mehr

Dieses Interview wurde von Helga Segatz geführt. 

Ich bin 55 Jahre alt, lebe allein und habe keine Kinder. Ich arbeite in einem Krankenhaus. Meine gesundheitliche Situation ist derzeit gut.

Früher hatte ich sehr an den Auswirkungen meines Asthmas zu leiden. Heuschnupfen hatte ich schon etwa seit dem 18. Lebensjahr, Nebenhöhlenentzündungen, frustrane Desensibilisierung und dann Entwicklung von Asthma. Der Lungenfacharzt verschrieb mir jedes Jahr eine neue Tablette und dazu Cortisonspray und Asthmaspray.

Jetzt, aufgrund von Atemtherapie und Eigenbluttherapie bin ich so gut wie beschwerdefrei.

Wegen der massiven Atemwegsprobleme war ich auch in krankengymnastischer Behandlung und wurde dort vor dreizehn Jahren auf die Atemtherapie aufmerksam gemacht. Damals hat meine Krankenkasse die ersten Kurse als Präventionsmaßnahme finanziert. Später zahlte ich dann selber. Ich bin regelmäßig in einer Atemgruppe und habe individuelle Atembehandlungen und Atemmassage.

Praktizieren Sie Atemübungen im Alltag?

Ja. Speziell zur Entspannung, bei Kopf- und Rückenschmerzen und bei zum Glück nur noch selten auftretenden Verkrampfungen im Brustbereich. Mit zunehmender Atemerfahrung erweitert sich das Spektrum meiner Möglichkeiten, das Leben leichter zu gestalten.

Was hat die Atemtherapie bei lhnen bewirkt?

Wegfall sämtlicher Medikamente!

Früher drei Tabletten täglich plus Cortisonspray plus Asthmaspray. Heute gehe ich aus dem Haus, ohne noch mal nachzusehen, ob ich meinen Asthmaspray dabei habe. Wenn ich vergessen habe, es mitzunehmen und das mehr durch Zufall bemerke, verfalle ich nicht in Panik, sondern ich weiß, dass ich das auch so mit meinem Atem schaffe.

Ordnen Sie diese Wirkungen ausschließlich der Atemtherapie?

Ja

Welche persönliche Geschichte verbinden Sie mit dem Atem?

Früher war mein Leben durch das Asthma sehr beeinträchtigt, und zwar sowohl körperlich als auch seelisch. Seitdem ich meinen Atem wahrnehme und ihm vertraue, habe ich mehr Kraft. Dies wirkt sich auf viele Bereiche meines Lebens aus. Ich fühle mich zufriedener und gelassener in schwierigen Situationen und gesundheitlich stabiler. Z.B. ist meine chronische Nebenhöhleninfektion weg und meine letzte Bronchitis war vor drei Jahren.

Sind die Erfahrungen mit dem Atem wichtig für lhre persönliche und spirituelle Entwicklung?

Ja, sehr. Die „Atemarbeit“ hat mich zu einem sehr viel spürsameren Menschen gemacht. Die immer wieder wechselnden Erfahrungen sind sehr spannend und zeigen mir meine momentane Befindlichkeit sehr deutlich auf. Spiritualität und Atemarbeit gehören für mich zusammen.

Welche allgemeine Bedeutung messen Sie der Atemtherapie bei?

Eine sehr wichtige. Sie sollte viel verbreiteter und bekannter sein. Es kennen sie viel zu wenig Menschen. Vor allem fände ich es sehr wichtig, diese Arbeit bei den Medizinern bekannter zu machen.

_______________________________________________________

Mit der Atemtherapie konnte ich Lebensqualität entwickeln

| Dieses Interview wurde von Daniela von Stosch geführt.

Ich bin 46 Jahre alt, ledig, ich lebe alleine und habe keine Kinder.

Ich arbeite als Physiotherapeutin auf einer Intensivstation mit beatmeten Patienten.

Ich bin das dritte von vier Mädchen. Mein Vater ist Bergmann von Beruf und Alkoholiker. Meine Mutter ist Hausfrau. Früher hat sie halbtags als Putzfrau gearbeitet. Zwei meiner Schwestern sind schon als Kinder früh verstorben, meine noch verbliebene älteste Schwester hat seit früher Kindheit schweres Asthma.

Ich habe eine ausführliche Psychoanalyse, Einzel- und Gruppentherapie und später für zweieinhalb Jahre eine Atemeinzeltherapie gemacht.

Möchten Sie etwas zu Ihrer gesundheitlichen Situation sagen?

Bevor ich zur Atemtherapie kam, waren meine Beschwerden: Atemlosigkeit, extrem verspannter Rücken und eingeschränkte Schulterbeweglichkeit, ich fühlte mich eng, schwer und müde. Heute bin ich seltener atemlos, spüre meine Verspannungen und kann sie meist selber auflösen. Ich bin deutlich beweglicher, fühle mich ausgefüllter, nicht mehr eng, habe viel Raum in mir.

Wie kamen Sie zur Atemtherapie?

Bei meiner Arbeit auf der Intensivstation hatte ich das Gefühl, dass diese beatmeten Patienten mir meinen Atem nahmen. Ich fühlte mich eng, ausgelaugt und gestresst. Parallel dazu beschäftigte ich mich mit Meditation (Zen) und habe an einem Meditationskurs teilgenommen. Dort empfahl man uns, um den Einstieg zu erleichtern, sich mit der Atmung und Atemtherapie zu beschäftigen. So kam ich zu einer Wochenendveranstaltung mit dem Thema “Atem-Bewegung-Meditation“. Dort durfte und konnte ich ungeahnte Erfahrungen machen. So bin ich bei der „Atemarbeit“ geblieben.

Wie lange schon und wie häufig nehmen Sie atemtherapeutische Angebote in Anspruch?

Insgesamt fünf Jahre. Nach einiger Zeit in der offenen Atemgruppe habe ich mich für die

Atemeinzeltherapie entschieden, heute gehe ich einmal im Monat weiter in die offene Atemgruppe in Schloss Altenburg, außerdem habe ich in dieser Zeit viermal an einem Wochenendkurs teilgenommen.

Welche Erwartungen an die Atemtherapie hoben Sie?

Bei der Atemarbeit konnte ich innere Räume entdecken, sie spüren und durchlüften. Alte körperliche und seelische Verletzungen tauchten auf und bekamen Aufmerksamkeit. Verspannungen lösten sich, ich wurde beweglicher. Mein Körper fühlt sich heute wie eine Einheit an und besteht nicht mehr nur aus Einzelteilen, welche nicht zusammenkommen oder gar teilweise amputiert sind. Auch mein Denken ist freier, beweglicher und kreativer geworden. Ich kann heute besser nach außen in Kontakt treten, ohne mich zu verlieren.

Kurz: Atem als schwingende Verbindung in mir, mit mir und nach außen hin.

Ordnen Sie diese Wirkung ausschließlich der Atemtherapie zu?

Nicht ausschließlich, aber doch überwiegend.

Wenden Sie die Atemtherapie in Verbindung mit anderen Therapieformen an oder/und wegen  der Persönlichkeitsentwicklung?

Nein.

Für meine Persönlichkeitsentwicklung ist sie ein ganz entscheidendes Puzzleteil.

Die Psychoanalyse führte mich an körperliche Schmerzen, sie machte sie bewusst und veränderte sie, aber sie löste sie nicht auf. So blieb ich dann mit meinen körperlichen Narben zurück. Narben sind unbeweglich und engen sein.

Das ist bei der atemtherapeutischen Arbeit ganz anders.

Ebenfalls ein entscheidender Unterschied zur Analyse ist in der atemtherapeutischen Arbeit das Berührt werden (vom Therapeuten, in der Gruppe bei der Partnerarbeit) und auch berühren zu können. Nach einer Atemtherapiestunde fühle ich mich freier, lebendig und besser in Kontakt mit mir und der Umwelt.

Welche persönliche Geschichte verbinden Sie mit dem Atem?

Irgendwie wurde mir von Anfang an der Atem genommen: Meine Schwester hat Asthma, mein Vater ist Alkoholiker, ich habe zwei verstorbene Geschwister, worüber nie gesprochen wurde. Ich habe all die überstanden/überlebt, aber dabei den Kontakt zu meinem Atem, zu mir, verloren. Das hat auch die Psychoanalyse nicht verändert.

In meinem Beruf arbeite ich mit beatmeten Patienten – erhoffte ich mir maschinelle Hilfe für meinen eigenen Atem? Ich weiß es nicht, letztendlich wurde ich aber so zur Atemtherapie hingeführt. Und erst mit der Atemtherapie konnte ich Lebensqualität entwickeln. Davor habe ich überwiegend funktioniert, jetzt lebe ich.

Atemlos sein, sich eng, eingeengt fühlen, das ist Vergangenheit. Jetzt fühle ich mich lebendig, frei, kreativ.

Sind die Erfahrungen mit dem Atem wichtig für Ihre persönliche und spirituelle Entwicklung?

Außerordentlich! Ich habe es bereits gesagt, ich befand mich in einer Sackgasse. Mir fehlte ein wesentlicher Teil, ein universelles Verbindungsglied und das ist der ATEM.

Welche allgemeine Bedeutung messen Sie der Atemtherapie bei?

Atem ist Leben, Lebendigkeit.